Marina Lutz
von Tiziana Bonetti Gebirge, in warme und rote Farbtöne getaucht, davor ruhend, das stille Wasser eines Talsees. Eingefärbt von der dramatisch-feurigen Abendstimmung erinnert das tiefrote Wasser an eine Blutlache. Das Bild „My Rocky Walls V4“ ist Teil der gleichnamigen Werkserie, in der sich Marina Lutz (*1988) mit dem Motiv der Berglandschaft auseinandersetzt. Die Leinwände der Künstlerin zeigen imposante Gebirgsketten und felsige Alpwiesen vor einem je anders gefärbten Himmel. Strukturiert als Kompositionen von sich abstrakt überlagernden Farbflächen und -Flecken setzen sich Lutz‘ atmosphärischen Acrylmalereien zu harmonischen Farbsinfonien zusammen. Aufgrund der sich überlappenden, je monochromen Farbflächen weisen die Berglandschaften der Künstlerin die vertraue Ästhetik von verpixelten und mit grafischen Filtern bearbeitete Digitalfotografien auf. Obwohl Lutz mit dem Sujet der Berglandschaft auf ein Motiv zurückgreift, das ihr aus dem eigenen Heimatkanton Graubünden vertraut ist, verzichtet sie darauf, die spektakulären Topografien mit dem Werktitel geographisch zu lokalisieren. Auf diese Weise verunmöglicht Lutz nicht nur eine eindeutige Ortszuschreibung der gemalten Gebirgslandschaften, sondern lässt zudem offen, ob die felsigen Gebilde der Werkserie realiter vorkommen oder ihrer Fantasie entspringen. Heimatbezug ist auch in Lutz‘ Werkserie „Animal Awards“ nicht von der Hand zu weisen. In verkleinerter Ausführung stellt die Künstlerin einheimische Nutztiere wie Kuh, Schaf und Esel je auf einen naturbelassenen Holzsockel. Vergoldet und in kleinformatiger Ausführung geben die Skulpturen implizit die Wertschätzung der Künstlerin für diese Tiere preis. Diese klingt jedoch bereits im Titel „Animal Award“ an, der die kleinen Arbeiten als Pokale an die Tiere ausweist. Lutz zufolge verdanke die Schweizer Kultur diesen Tieren sehr viel. So sei die Kuh etwa nicht nur Leder-, Fleisch-, und Milchlieferantin, sondern dünge mit ihren Exkrementen zugleich die Felder, auf denen sie grase. Indem Lutz die Tierminiaturen vergoldet und damit ein Material verwendet, das mit Kostbarkeit und Reichtum konnotiert wird, betont die Künstlerin die Preziosität der Tiere. Auf der anderen Seite dieser Wertschätzung steht für Lutz die Alltagsrealität in einer überwiegend städtisch geprägten Schweiz: Ein Stadtbürger begegnet der Kuh im Normalfall nicht in lebendigem Zustand, sondern auf dem Teller oder im Supermarkt in Form eines verarbeiteten Produkts mit Preisschild. Einen Verbindung zu ihrem gegenwärtigen Wohn- und Arbeitsort und damit einen Kontrast zur ländlichen Heimat stellt Lutz in der fortlaufenden Serie «Emmenbrücke» her. Zu diesem Anlass tauscht die Künstlerin natürliche gegen urbane Landschaft aus, Vedute gegen Strassenecke. Entsprechend bezeichnen die grauen Farbtöne gegenüber der Serie mit den Berglandschaften nicht mehr die Wildnis eines unberührten Ökosystems, sondern den Asphalt auf der Strasse oder das Baumaterial von Industriegebäuden und -arealen im nördlichen Vorort Luzerns. So auch in der Acrylmalerei «Emmenbrücke 2». In diesem Gemälde steht die Farbe Grau für den Asphalt der Strasse sowie für eine fragmentarisch sichtbare Hausfassade, die vom rechten und oberen Bildrand abgeschnitten wird. Der Ausschnitt des Bildes selbst scheint aufgrund des unspektakulären Sujets – ein Strassenausschnitt mit einer Baustellenabsperrung im Mittel- und einer Gebäudefront im Hintergrund –, wie zufällig gewählt und erhält entsprechend die Qualität eines Schnappschusses. Den Eindruck einer Momentaufnahme verstärkt der Motorradfahrer in der Mitte des Bildvordergrunds: Als Verkehrsteilnehmer steht er für Bewegung und bringt auf diese Weise Dynamik in die ansonsten menschenleere Strassenszene. In «Emmenbrücke 2» kommt zudem die für Lutz’ Handschrift symptomatische Struktur des Bildes als einer graphisch reduzierten Komposition von übereinandergelegten Flächen prononciert zum Tragen. Wie Scherenschnitte fügen sich die Bildebenen eine über die andere und bringen so Flächen zum Verschwinden, die für den Betrachter als unüberwindbare Blickschranken fungieren. Neben ihrem Interesse für Landschaften im weitesten Sinne, setzt sich Lutz in ihrem künstlerischen Schaffen auch mit der Rekonstruktion und Manipulation von Vergangenheit auseinander. Ein Beispiel dafür ist die Serie «Tartar» (2014). Anlässlich derselben arbeitet Lutz mit Fotografien aus dem Leben des verstorbenen Ehepaars Barandum aus dem abgelegenen Dorf Tartar in Graubünden. Ohne mit dem Ehepaar persönlich je in Kontakt getreten zu sein, greift die Künstlerin auf ausgewählte Bildszenen aus einem Familienalbum der 1960er-Jahre zurück und verwendet diese als Vorlagen ihrer Acrylmalereien auf Leinwand. Indem Lutz den ursprünglichen Handlungsort der Fotografien bei ihrer Umsetzung als Malereien einerseits an einen surrealen Ort verlagert sowie andererseits mit ihrer künstlerischen Formsprache grafisch-abstrakt verfremdet, gehen ihre Bilder ein komplexes Amalgam von abstrahierter Vergangenheit und surrealer Traumwelt ein. So sitzt Frau Barandum in «Basatta» (2014) auf einer als Fläche mit braunroten Streifen wiedergegebenen Holzbank. Ihren durch Abstraktion anonymisierten Kopf bildet eine gesichtslose Kugel, der abgetrennt über dem halslosen Frauenkörper schwebt. Ohne Eisenfüsse, stellt auch die Sitzgelegenheit der Bank ein Schwebelement im Raum dar. Oder findet die Szene etwa im Freien statt? Hinter der weissen Mauer aus Vorhängestoff öffnet sich jedenfalls der Blick auf eine trockene Hügellandschaft vor azurblauem Himmel. Geboren in Rabius im Kanton Graubünden, arbeitet und lebt Marina Lutz seit 2009 in Luzern als freischaffende Künstlerin, Illustratorin und Karikaturistin. Ihr Bachelorstudium in Illustration absolvierte die Künstlerin an der Hochschule Luzern Design und Kunst. Ihr künstlerisches Schaffen mit Schwerpunkt auf Malerei und Illustration hat Lutz bereits an zahlreichen Orten im In- und Ausland sowohl in Einzel- als auch in Gruppenausstellungen gezeigt. So beispielsweise 2016 in der Paper Gallery Manchester (UK), 2014 in der Shedhalle Zug und 2012 am Internationalen Comix Festival Fumetto in Luzern. 2016 wurde Lutz mit dem Förderpreis für Kultur vom Kanton Graubünden ausgezeichnet und gewann 2013 im „Concours international d’illustration“ in Crans Montana den zweiten Preis. |